Dies ist mein Beitrag zu ui.s bis zum 1.10. verlängerten Wettbewerb, bei dem man 7 von 12 „so gefallenen Sätzen“, die Manuel mal irgendwann aufgeschnappt hatte, in einer Kurzgeschichte verwenden soll (sie sind hier braun hervorgehoben). Es ist jetzt nicht gerade die lustigste, abgedrehteste Geschichte, verglichen mit denen der anderen Teilnehmer – aber dafür hab ich nicht nur alle 12 zur Auswahl gestellten, sondern auch alle 8 weiteren deutschen Sätze aus dieser Kategorie verwurstelt.
Foto: emsago/sxc
Der dunkle Teil
„Wenn Du so weitermachst, schmeiß’ ich mein‘ Tampon in die Toilette!“ Mit diesen Worten empfing sie ihn, als er gerade zur Wohnungstür hereinkam, und wieder einmal hatte er keine Ahnung, warum sie in so einer aggressiven Stimmung war oder wie sie gerade auf diese Drohung kam. Also grüßte er sie nur mit einem leisen „Hallo, Schatz!“, bevor er seine Jacke auszog und seine Tasche beiseite stellte.
Sie ist ein lebensfroher Mensch, aber sie hat ja auch diesen dunklen Teil, dachte er – und damit meinte er nicht nur ihre, vorsichtig ausgedrückt, etwas beeinträchtigte linke Hand; der erste Satz, den sie damals bei ihrer ersten Begegnung zu ihm gesagt hatte, war die Erklärung dafür: „Ich habe mal einen Böller angezündet und war so aufgeregt, dass ich das Feuerzeug weggeschmissen habe und den Böller in der Hand behielt. Mann, tat das weh.“ Dabei hatte er eigentlich nur im Vorbeigehen an der Bar, an der sie saß, eine Sekunde – eine Sekunde zu lang? – auf ihre Hand gestarrt, ohne stehenbleiben zu wollen, schließlich war er nicht mehr ganz nüchtern und auf dem Heimweg gewesen. Oder sollte man Heimtorkeln sagen?
Sein angeheiterter Zustand dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass er gefragt hatte: „Hast Du da schon Samba Olé drauf gemacht?“ Weder sie noch er haben in den Monaten seitdem herausgefunden, was er damit eigentlich gemeint, ob er es mit irgendeiner Salbe verwechselt hatte. Aber das war an sich auch egal. Im ersten Moment jedoch war ihm das ziemlich peinlich gewesen, mindestens so peinlich wie sein letzter Versuch, Samba zu tanzen, und er hatte sich eigentlich nur schnell mit den Worten „Nee, entschuldigen Sie, hier kann ich nicht sitzen bleiben, ich stinke zu sehr nach Schweiß“ verdrücken wollen. (Wobei das mit dem Gestank nicht mal gelogen war.)
„Das Pferd muss raus!, glaubt es“, hatte sie gelacht, „ach ne, man sagt ja eher ‚er stinkt wie ein Schwein’ – ich verwechsle die Tiere gern. Bei Tieren bekomme ich eben immer Muttergefühle.“
Muttergefühle? Etwa für ihn? Nun ja, irgendwie hatte er sich gleich zu ihr hingezogen gefühlt wie eine Motte zu einer Fackel, und so ist er nach der ersten Nacht gleich bei ihr eingezogen. Doch mittlerweile fragte er sich, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Wichtig ist ja, dass man sich lieb hat und so – aber hatte er sie überhaupt noch lieb, konnte er sie überhaupt noch lieb haben angesichts der seltsamen, ganz offensichtlich aus der Luft gegriffenen Vorwürfe – geschweige denn seiner aus der Mülltonne gegriffenen Bierdosen –, die sie ihm immer wieder an den Kopf warf?
So auch heute Abend, als sie eigentlich aufs Oktoberfest wollten. Das hatten sie schon lange geplant, doch jetzt fiel ihr plötzlich ein: „Ach je, ich hab gerade mein Dirndl in die Wäsche geschmissen!“, sprach’s, ging aber nicht zur Wäschetruhe oder Waschmaschine, sondern griff das Katzenklo, um ihm dessen Inhalt entgegenzuschleudern: „Nee, hör mal, eine Katze erträgt das nicht, in der Nähe ihrer eigenen Exkremente zu sein!“ Hä? Und wofür hatte sie das überhaupt angeschafft, wo sie doch gar keine Katze hatten – höchstens hatte er hin und wieder einen Kater. Mann, ey, ich sollte eigentlich noch Katzenstreu kaufen, hatte sie ihm auch noch aufgetragen – pah! Wieder eine ihrer Anwandlungen, die er nicht verstand.
Sollte sie ihn etwa loswerden wollen? Ach was, der Gedanke war geradezu lächerlich.
Er ging also alleine Richtung Theresienwiese, um sich mit Greg und Manuel zu treffen, mit denen sie sich verabredet und Plätze in einem Zelt reserviert hatten – und um, so hatte er vor, sich zu betrinken. Sich seine Beziehung gewissermaßen schönzutrinken. Er begrüßte sie mit „O Manuel, wenn ich Dich seh, dann denke ich an einen Autounfall“ – was er für einen Witz hielt, doch der Angesprochene verstand ihn mal wieder nicht. Was vermutlich auch besser war. Glücklicherweise wusste Greg auf Manuels Frage „Warst Du beim Friseur?“ eine Antwort, die dann doch für etwas Heiterkeit zu Beginn des Abends sorgte: „Nein, ich war tauchen.“
Sie bahnten sich ihren Weg durch die dichte Menschenmenge. Greg meinte: „Also Ziegen werden ja von hinten gemolken, aber so voll, wie es hier ist, könnte man sich dafür nicht bücken. Wisst ihr was gut ist? Bei mir geht halt viel über die Brustwarzen. Meine Ex-Freundin hat mich mal alleine damit zum Orgasmus gebracht. Das geht auch im Stehen ohne viel Bewegungsfreiheit.” Greg war schon ein seltsamer Typ. „Ja, Greg,“ erwiderte Manuel, „mach es nicht so puffig, wir wollen uns hier amüsieren und nicht über deine, äh, Vorlieben grübeln!“
Sie erreichten den reservierten Tisch, wo auch, während neben der Bühne irgendeine offenbar möchtegernprominente Blondine „Ich gebe Dir meine Gage, wenn Du jetzt ein Lied oben auflegst“ rief, prompt die Bedienung erschien (Glück muss man halt haben), die Manuel fragte: „Oa Maß?“, worauf dieser meinte: „Ey, Mann, kann man eigentlich 1 durch 3 teilen? Drei Maß natürlich!“
Insgesamt zehn Maß später – er hatte davon natürlich so viel getrunken wie die beiden anderen zusammen – machten sie sich auf den Heimweg. Er bekam noch vage mit, dass seine Freunde ihn seine Treppe hinauf (und seitwärts und wieder hinunter und auf allen Vieren schließlich doch hinauf) brachten und in sein Bett drapierten – neben sie, die schon schlief (oder so tat); das letzte, was er beim Weggehen seiner Freunde hörte, war „Gesch-schmack ischt halt a-a-aauch Geschmackssache.“ Hatte seine Freundin daraufhin genickt, war der Satz etwa an sie gerichtet gewesen? Ach was, sein alkoholgetränktes Hirn muss ihn getäuscht haben.
Am späten Nachmittag – der Dicke seines Schädels zufolge musste es später Nachmittag sein – wachte er auf. Wieso war es so dunkel? Hat sich die Sonne… ach nee, die Sonne stellt sich nicht zurück, er befand sich im Müllcontainer – inmitten von Katzenstreu, Tampons und seinen Klamotten, aber ohne Wohnungsschlüssel.
So langsam dämmerte ihm, dass er ihr „dunkler Teil“ gewesen war.