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Gesundheit

Heilen mit Strichcodes

Strichcode im Nacken Heilen mit Strichcodes – was für eine selten dämliche Suchanfrage, dachte ich, als ich sie in den Logs gefunden habe. Doch ich vergaß: Nichts ist zu dämlich, um nicht schon von esoterischen Phantasten1 verwurschtelt und an den Mann und die Frau gebracht worden zu sein. So auch in diesem Fall, denn es findet sich direkt bei Amazon ein Buch mit dem Titel „Neue Homöopathie nach Körbler 3: „Heilen mit Strichcodes“, 8. Körbler-Tagung 2006″.

Schon lustig, da nennt ein Elektrotechniker(!) in den 80-er Jahren seine Vorstellung von, ja, Schaltungen im Energiefluss des menschlichen Körpers „Neue Homöopathie“, und was hat sie mit der klassischen Homöopathie gemeinsam? Ausschließlich die Tatsache, dass „Behandler und Patient/Kunde an die Methode glauben müssen, um einen möglichen Placeboeffekt zu erzielen“ (Zitat EsoWatch). :lol: Ob Homöopathen mal dagegen geklagt haben?

Wir haben also Strichcodes und Symbole statt Globuli, Wünschelruten statt Gespräche, wissenschaftlich nicht haltbare „Energien“ statt bis zur totalen Wirkstofflosigkeit verdünnte Präparate. Nun ja, jedem Esotierchen sein Plaisierchen…

Eine bayrische „Gesundheitsoase Bauernhof“ alias Stadler-Hof, die neben den üblichen Wellness-Angeboten auch unzählige Esoterik-Behandlungen und -Seminare bietet, inseriert übrigens in einer aktuellen regionalen Wochenzeitschrift (deren Sonderseiten „Wellness & Gesundheit“ sich gleich mit einem Homöopathie-Artikel disqualifizieren) u.a. für ein Wochenendseminar zu dieser angeblichen „Informationsmedizin“ für schlappe 250€, anscheinend ohne Verpflegung und Übernachtung.2

Dazu passend (und von Amazon vorgeschlagen) das Buch „Medizin zum Aufmalen – Heilen durch Informationsübertragung und Neue Homöopathie / Praxiserfahrungen mit den Körbler’schen Zeichen“ von Petra Neumayer und Roswitha Stark. Aus den Pressestimmen, Prisma Dez. 2006/Jan. 2007:

Was hat der Eismensch ‚Ötzi‘ mit dem neuen Verständnis der Heilung zu tun?

Dass die „Neuen Homöopathen“ ihn benutzt haben, um auf ihren Kram aufmerksam zu machen; offensichtlich konnten sie ihre „Erkenntnisse“ noch so hinbiegen, dass sie seine Tätowierungen damit in Einklang bringen konnten.

Ötzi hat sich, im Gegensatz zur heutigen Apparatemedizin, der Prinzipien der energetischen Medizin bedient.

Was soll erstens ein Mensch, der vor 5300 Jahren gelebt hat, von der heutigen Apparatemedizin gewusst haben, und wie soll sich zweitens seine Mumie gegen die Unterstellung mit der „energetischen Medizin“ wehren können?

Von Layena Bassols Rheinfelder, selbst eine Buchautorin und Anbieterin auf diesem Gebiet mit etwas, das sie „PraNeoHom“ nennt – von ihr gibt es auch ein knapp zehnminütiges Einführungsvideo; die Präsentation ist vielleicht etwas lahm, aber so viel Schmarrn kann man wohl nicht stärker komprimieren, ohne dass er an den Seiten herausquillt und vielleicht die Strichcodes verschmutzt – kommt eine weitere Pressestimme (wo auch immer) vom August 2006:

Dem Neueinsteiger ermöglicht das vorliegende Werk einen Anfang, ein Hineinschmecken, vielleicht sogar eine Öffnung in ein ‚Sich-Einlassen‘ auf unbegrenzte Möglichkeiten.

Unbegrenzte Möglichkeiten, sich selbst in die Irre zu führen und/oder seine Mitmenschen für blöd zu verkaufen und/oder des Geldscheffelns, möchte man ergänzen…

Kurzbeschreibung:
Seit jeher nutzten indianische Völker Zeichen und Symbole, um Kraft und Mut zu stärken. Auch auf dem berühmten Eismenschen „Ötzi“ fand man auftätowierte Striche an verletzten Körperteilen, und der Scanner an der Supermarktkasse erkennt das Produkt am Strichcode… Symbole, einfache Striche und Zeichen werden seit Urzeiten und in zahlreichen Kulturen eingesetzt, um Informationen zu übermitteln und die Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. […]

Hey, die Strichcodes heilen Supermarktkassen! Super, das wusste ich ja noch gar nicht! Das sollte nun wirklich das Argument gegen RFID-Etiketten sein!

Rücken mit Pfeilen Natürlich muss man das ganze auch parawissenschaftlich „belegen“ – und passenderweise verweist die Automatik von Amazon auch auf „Das Kraftfeld der Symbole: Logos. Schriftzüge. Runen. Pyramiden. Kultische Zeichen. Kosmische Hieroglyphen u. v. m. radiästhetisch untersucht“ von Hartwig Fritze.

Es wäre übrigens ein Trugschluss, dass Buchtitel umso länger sind, je verrückter die enthaltene Aussage ist – Amazon listet nämlich Balders und Drekslers Buch samt Untertitel und muss dabei „WUNSCH-BULLSHIT IM UNIVERSUM. Eine Kritik der Wunsch-Bestellungen im Universum von Rhonda Byrne, Pierre Franckh, Bärbel Mohr, Esther Hicks und Kurt Tepperwein – auf dem schmalen Grat zwischen Nicht-mehr-Satire und Noch-nicht-Wissenschaft balancierend“ schon abkürzen.

Bei Amazon gibt es netterweise die Einleitung von „Das Kraftfeld der Symbole“ zu lesen – sie beginnt damit, auf Basis einer mythologischen Geschichtensammlung, in diesem Fall der Genesis („Am Anfang… Gott sprach“ usw.), und der Banalität, dass ein Architekt eine Idee von einem Haus haben muss, bevor er es baut, über ein schönes Non sequitur zu „begründen“, dass Gedanken auch „Schwingungen“ und „Kraftfelder“ haben und sich diese in Schrift und Symbole übertragen.

Und die Mystiker sprachen: Es werde Unsinn. Und so geschah es.
Und die Mystiker sahen, dass es gut war,
gut, um sich selbst und andere Leichtgläubige zu täuschen.
Und es ward Abend und es ward Morgen: der nächste Quark.

Und da es in diesem Buch schließlich um Radiästhesie geht, können diese Schwingungen und Felder natürlich mit Wünschelruten und Pendeln „gemutet“ werden. „Muten“ ist der Fachausdruck für das Aufspüren von was auch immer gerade gefragt ist mit Wünschelruten und Co. Ich glaube, der Begriff kommt von „mutig, so ein Zeug weiterzuerzählen“.

Aber warum sich mit einem einzelnen verschwurbelten Fehlschluss begnügen? Der Leser soll ja schließlich in der Einleitung schon sehen, was ihn erwartet!

Wenn aber die Materie schwingt, also elektromagnetische Wellen aussendet, was sich mit Hilfe einer Wünschelrute erfassen läßt, dann sind logischerweise auch Gedanken, die ja in Form geistiger Konzepte aller Materie zugrunde liegen, nichts anderes als elektromagnetische Schwingungen.

Wer jetzt meint, unsere modernen Messgeräte hätten sowas ja aufspüren müssen, bekommt die praktische ausweichende (und überhaupt nicht überraschende) Ergänzung:

Allerdings liegen diese Schwingungen in einem Frequenzbereich, für dessen Erfassung es heute noch keine ausreichend empfindlichen Meßgeräte gibt. Wohl aber ist der hochempfindliche „Universalsensor Mensch“ in der Lage, mit diesen Kraftfeldern zu kommunizieren, wobei dem Radiästheten Wünschelrute und Pendel als geeignete Hilfsmittel zur Seite stehen.

Ob der Frequenzbereich im Rest des Buches noch spezifiziert wird, weiß ich nicht, aber die Vermutung, dass das nicht der Fall ist, ist sicher nicht aus der Luft gegriffen. (Woher wissen sie dann eigentlich, dass es elektromagnetische Schwingungen sind?)

Geeinget sind die genannten Hilfsmittel auf jeden Fall – nämlich dazu (und nur dazu), die eigenen Wunschvorstellungen sichtbar zu machen.

[…] Die mentalen Fähigkeiten der Radiästheten ermöglichen es, in Grenzbereiche einzudringen, die rein physikalischen Meßmethoden bisher noch unzugänglich sind.

Denn physikalische Messmethoden sind nicht in der Lage, sich Dinge zusammen­zuphantasieren, dafür braucht man eben immer noch Menschen.

Bei der Arbeit im mentalen Bereich ist allerdings die Gefahr von Mutungsfehlern infolge von Wunschdenken sowie physischen und psychischen Einflüssen groß.

Wünschelrutengänger Das merkt man. Schon an der Wahl einer Messmethode, die nur auf Wunschdenken bzw. den von einer bewussten oder unbewussten Vorstellung einer Bewegung ausgelösten ideomotorisch induzierten Muskelimpulsen basiert, auch Carpenter-Effekt genannt. (Vgl. Linktips unten.) Seriöse Tests mit Wünschelrutengängern kommen nie signifikant über Zufallsergebnisse hinaus.

Mithin sind Wünschelruten und Pendel alles andere als wissenschaftlich haltbare Messmethoden, selbtsverständlich unabhängig davon, ob man den Aussagen, es gäbe keine physikalische Messmethode für die hier auftretenden Kräfte, glaubt oder nicht.

Um die Fehlerquote möglichst gering zu halten, wurden die erzielten Resultate von anderen Radiästheten überprüft, die die Aufgabenstellung, nicht aber die Ergebnisse kannten. Hier werden also nur solche Resultate vorgestellt, die den Blindversuch bestanden.

Wenn es ein richtiger (Doppel-)Blindversuch war: Alle Achtung. Aber irgendwie glaube ich, dass die Radiästheten die Symbole und Schriften doch gesehen haben – und nicht zuletzt durch ihre esoterische „Vorbildung“ ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie dieselben Formen ähnlich bewerten. Z.B. dürfte kaum einer bei einem wilden Zickzackmuster von großer Harmonie sprechen, wohingegen bei einem Wellensymbol „fließend“ überzufällig häufig in der Beschreibung zu finden sein könnte…

Was lernen wir also daraus: Beobachtet eure Suchanfragen, damit euch kein unwissenschaftlicher Stuss entgeht. :mrgreen:


Linktips:


Fotos (Orig. ohne Barcode/Pfeile): Nathalie P – Fotolia.com; Elena Vdovina – Fotolia.com; lavotini / flickr (CC-by-nc-Lizenz)

  1. …um auf Wörter zu verzichten, die als justitiable Beleidigungen aufgefasst werden könnten… []
  2. Kann es eigentlich noch Zufall sein, dass ich gerade jetzt, wenige Tage nach der Strichcode-Suchanfrage, zum ersten Mal ein Inserat mit dieser „Medizin zum Aufmalen“ (so auch der Seminar-Titel) sehe? ;) []

„Gesund durch Kunst“

zwei Hände Der dritte Teil der Artikelserie über (das) „Wunder Heilung“ der Fernsehzeitschrift HÖRZU, auch online komplett verfügbar, inklusive Kommentar-Möglichkeit. Meine früheren Beiträge: » Teil 1, Teil 2.

Ein künstlerischer Gemischtwarenladen erwartet uns diesmal:

Sie töpfern, bildhauern, malen, tanzen und rezitieren auch mal Verse: Immer mehr Patienten schwören auf die Heilkraft kreativer Betätigung. Und auch die Schulmedizin hat die Chancen solcher Methoden erkannt.

In der ersten Hälfte des Artikels kommt erst Mal die „gewöhnliche“ Kunsttherapie dran, die durch ihre insbesondere psychologische und psychosomatische Wirkungen durchaus in vielen Bereichen zur Bewältigung schwieriger Krankheiten und schwieriger Lebenssituationen ihre Daseinsberechtigung auch in der Schulmedizin hat. Dagegen gibt’s nicht großartig was einzuwenden.

In der zweiten Hälfte hingegen wird von einer seltsamen Variante von Chronobiologie, bei der gestörte „Körperrhythmen“ für viele Krankheiten verantwortlich gemacht werden – die dann „natürlich mit Rhythmus“ behandelt werden – weitergeleitet:

Zum Beispiel mit Eurythmie, einer Art Therapietanz, der auf den Gründer der Anthroposophie Rudolf Steiner zurückgeht. Oder die Patienten bekommen Präparate der Heilpflanze Mistel gespritzt, weil diese die Körpertemperatur im Tagesverlauf wieder in Bewegung versetzt.

Tänzerin Die Eurythmie (auch: Eurhythmie) wird auch in einem Kasten prominent erwähnt. Nichts gegen Tanzen, das sicher auch Spaß machen und so positive psychologische Wirkung haben kann – aber wenn das Grundprinzip auf diesem unsäglichen quasi-religiösen, okkulten Rundumschlag gegen den Verstand, den Rudolf Steiner mit seiner Anthroposophie da aufgebaut hat – die ihrem eigenen Anspruch an Wissenschaftlichkeit nun wirklich nicht gerecht werden kann, von Steiners geheimwissenschaftlich-mystischem Gerede über Prophezeiungen, Atlantis, „Christus im Ätherischen“, „Zugang zu unumstößlichen Wahrheiten“ & Co. ganz zu schweigen –, dürfen die Details von Vorgehensweise und Wirkung auf jeden Fall angezweifelt werden, da helfen auch etwaige partielle Erfolge in der Pädagogik oder anderswo nichts. (Natürlich könnte auf einer schlechten Grundlage auch mal etwas Gutes entstehen – nur wie wahrscheinlich ist das hier? Und wie nebenwirkungsfrei in mentaler und intellektueller Hinsicht?)

Dass viele anthroposophische Heilmittel anscheinend mit den homöopathischen vergleichbar sind (die bekanntermaßen nur Placebo-Wirkung haben) und die angesprochene Mistel mitnichten das von den Anthroposophen erträumte Wundermittel ist – es sollte ursprünlich gar gegen Krebs helfen –, ist da eigentlich nur eine Nebensache…


Es sei noch schnell aus einem der seltenen kritischen Kommentare (#94 bei Teil 1, von Hans-Peter H.) zitiert:

Am unerträglichsten empfinde ich jedoch die Darstellung dieses naiven Geisterglaubens, der davon ausgeht, dass unser Glück und Leid durch außerweltliche und unkörperliche gute und böse Dämonen verursacht wird. Demzufolge benötigt man offenbar nur ein geeignetes Medium, z.B. eine Trance-erfahrene kleine unscheinbare Frau, um diese bösen Mächte durch magische Zeichen auf zerknüllten Zetteln günstig zu beeinflussen. Eine Woge von Energie rast durchs Gehirn und die bösen Dämonen verlassen daraufhin den Körper und der Krebs ist besiegt. Wie beim katholischen Exorzismus.

Warum kein kritisches Wort über diesen Unsinn? Diese Vorstellungen stammen aus der Altsteinzeit, in der keinerlei Kenntnis über Naturereignisse und Krankheitserreger bekannt waren.

Auf jeden Fall darf das subjektive Wundergefühl im emotionalen Ausnahmezustand eines Betroffenen nicht als objektive Tatsache dargestellt und somit quasi zur Nachahmung empfohlen werden!

Da hilft es den Glaubensmedizingläubigen auch nicht, dass Irene H. (#98) am Tag darauf Bibelstellen nennt, die zeigen sollen, „dass Jesus auch heilen kann, wenn die ärztliche Medizin versagt. Alle anderen Heilungsversuche sind nicht im Sinne der Bibel.“ Denn an sich ändert sich die mangelnde Realitätsnähe nicht, wenn man ein zugrundegelegtes Glaubenssystem gegen ein anderes austauscht…


Linktips:


Klecks-„Kunst“ von mir mit dem Pollock-Generator; Foto Tänzerin © domiphoto – Fotolia.com (denen ich hiermit keinen Zusammenhang mit Eurythmie unterstellen will)

„Das Geheimnis der Zauberhände“

zwei Hände Der zweite Teil der Artikelserie über (das) „Wunder Heilung“ der Fernsehzeitschrift HÖRZU, auch online komplett verfügbar, inklusive Kommentar-Möglichkeit.1 Mein Beitrag zum 1. Teil findet sich » hier.

In diesem Teil darf der ehemals krebskranke Autor, Georg Francken, nun von seinen eigenen Erlebnissen in Brasilien berichten – was natürlich auch bedeutet, dass es noch subjektiver und noch unkritischer wird, und auf die Erwähnung des Placeboeffekts, die schon im ersten Teil gefehlt hat, darf man erst recht nicht hoffen. Ist ja wahnsinnig ausgewogen, diese Serie… und auch wenn man die Hoffnung nicht aufgeben soll, irgendwie glaub ich nicht so recht, dass das in den nächsten Wochen besser wird.

Therapie mit Magie: In Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern befragen Heilerinnen gern die Karten, um in die Zukunft zu sehen.
(Bildunterschrift, nur im Heft)

Klar, warum etwas auslassen, lieber gleich mehrere esoterische Angebote vereinen. Wie meinte der Taxifahrer in Franckens Geschichte:

Christopher schüttelte den Kopf: „Ihr seid doch verrückt, ihr Europäer“, sagte er immer wieder. „Kommt von weit her, um ein bisschen Zauberei zu erleben. Und glaubt noch daran!“ Dass auch viele seiner Landsleute auf diesen „Zauber“ vertrauen, verschwieg er. Rituelle Handlungen, Wahrsagen, Geisterbeschwörung und Handauflegen stehen bei den Brasilianern hoch im Kurs.

Beim Satz über die Landsleute kann ich Herrn Francken sogar mal zustimmen… Was geschah also in Brasilien?

Die kleine, unscheinbare Frau hatte nur kurz gefragt, wie es mir ginge. Dann hatte sie ein paar Karten gelegt, sie gedeutet – und war unvermittelt in Trance gefallen. […]
Sie kam auf [m]ich zu, berührte meinen Kopf. Eine Woge von Energie strömte durch mein Gehirn, raste dann die Wirbelsäule hinab. Mir wurde heiß. Du wirst Fieber bekommen, sagte sie noch, dann wachte sie abrupt aus der Trance auf. […]
Am nächsten Tag schüttelte mich übrigens heftiges Fieber. Fast eine Woche lang hielt es an. […] Ich glaube, es war der Moment, in dem ein Körper begann, sich selbst zu heilen.

Schön für ihn. Wirklich. Aber was beweist diese Anekdote, was lernen wir wirklich daraus?

  • Dass die Brasilianerin Heilenergien ausströmen und in die Zukunft sehen kann? Nein.
  • Dass sie eine gute Show2 abziehen kann, die Leute, die sie glauben wollen, beeindruckt? Ja.
  • Ob sie es selber glaubt? Gut möglich.
  • Dass der menschliche Körper sich besser heilen kann, wenn man an eine Heilung glaubt? Sieht so aus.
  • Dass die Hörzu unkritisches Esoterik-Geschwurbel als Versuch, „Antworten zu geben“3 und „Alles über Wunderheilung“4 zu berichten, verkaufen will? Scheint mir so…

Noch zu ein paar Kommentaren:

Anja S.N. (#48) zur Fernheilung per Telefon:

Nun frage ich mich warum per Telefon… Jede Form von Elektrizität oder Elektromagnetischer Strahlung können störend auf das aussenden von Heilenergien wirken

Strommast Wie ich dort auch schon geantwortet habe (#51):

Wenn „Heilenergien“ durch Elektrizität und elektromagnetische Strahlung gestört werden, was ist dann mit den Unmengen an Stromkabeln, Rundfunk-, Handy-, Satelliten- usw. -wellen zwischen Heiler und „Empfänger“? :)

Warum nicht das Telefon verwenden, so kann man dem „Empfänger“ viel leichter einreden, was er glauben soll…

Und Walter E. (#58) verwechselt die Heiler, die mystische Heilung versprechen, mit der Telefonseelsorge:

Wenn ein verzweifelter Mensch die Telefon-Seelsorge in Anspruch nimmt und Hilfe findet ist dass ein toller Erfolg. Und dass wird jeden Tag vielfach erlebt trotz Elektrosmog. So kompliziert wie oft dargestellt ist Heilung nicht.

Mit dem letzten Satz (Hervorhebung von mir) hat er unbeabsichtigt sogar recht, wie ich finde: Denn jede solche Heilung geht nur durch den Glauben des Patienten daran – ein Heiler sendet genausowenig Energie aus wie ein Telefonseelsorger, er behauptet nur etwas anderes. (Zumindest wenn sich der Telefonseelsorger nicht auf „göttliche Hilfe“ versteift.)

Und die christliche Fraktion kam in Form von Renate P. (#67) auch schon vorbei, die davor warnt, auch der Teufel würde Wunder bewirken, und die Leser in einem Absatz gar anbrüllt5:

JEDER; DER ZU EINEM HEILER GEHT; DER NICHT AUSDRÜCKLICH IM NAMEN JESU CHRISTI DIE KRAFT GOTTES ZUR HEILUNG ANRUFT; BEGIBT SICH AUF “OKKULTE WEGE2 UND ZAPFT DIE KRAFTQUELLE SATANS AN; UND WIRD DIE DARAUS ENTSTEHENDEN NEGATIVEN KONSEQUENZEN (DES GÖTZENDIENSTES) ENTWEDER SELBER ODER IN DER FAMILIE TRAGEN MÜSSEN! DER WIDERSACHER GOTTES VERSUCHT UNS MENSCHEN IN DIE KNECHTSCHAFT; BINDUNGEN UND SÜNDE ZU FÜHREN; DAMIT ER UNS BEHERRSCGHEN KANN!

Und wie wollen diese Heilandsheilergläubigen erkennen, ob sie nicht von einem „teuflischen Heiler“ geschickt getäuscht werden, indem er einfach behauptet, „göttliche Heilkraft“ weiterzugeben?
:shake:

Naja, jeder Wunder- und/oder Gott- und/oder Esoterikgläubige schafft sich so seine eigene Welt, mit Logik kann man da wohl wenig ausrichten…

Genug für heute.6

 


Linktips:


Foto Hände: shlomaster/sxc; Strommast: leefis/sxc

  1. Auch wenn kürzlich zwei weitere kritische Kommentare kamen (#74 und #75), wäre etwas Unterstützung dort vielleicht nicht schlecht… []
  2. mehr im Artikel, ich hab nicht alles zitiert []
  3. Editorial Teil 1 []
  4. Hefttitel bei Teil 1 []
  5. die Großschreibung, in Mails und Foren meist mit Schreien gleichgesetzt, kann natürlich auch ein Versehen gewesen sein []
  6. Und auch genug mit den Fußnoten, das waren schon wieder recht viele… ;) []

„Medizin der magischen Kräfte“

So heißt der erste Teil der von Georg Francken geschriebenen Artikelserie über (das) „Wunder Heilung“ der Fernsehzeitschrift HÖRZU, praktischerweise auch online komplett verfügbar, inklusive Kommentar-Möglichkeit.1

Der Chefredakteur Thomas Garms stellt diese Serie in seinem Editorial u.a. mit diesen Worten vor:

„Gerettete erscheinen anderen Kranken als Boten der Hoffnung. Heiler werden zu Heiligen stilisiert. Was ist wirklich dran an diesem Phänomen? Ab S. 24 versuchen wir Antworten zu geben, sprechen mit Betroffenen, stellen Methoden vor und lassen auch die Kritiker zu Wort kommen.“

Ach? Ja wo sind sie denn, die Worte der Kritiker? Findet jemand welche? Ich nicht. Der einzige, der neben einem Heiler und zwei Patientinnen direkt zu Wort kommt, ist der „Inhaber des einzigen deutschen Lehrstuhls für Naturheilkunde“, und sein Bedauern der „erheblichen Defizite in diesem Forschungsfeld“ kann kaum als Kritik bezeichnet werden. Aber auch echte nicht persönlich wiedergegebene Kritik fehlt; der Kasten „Wie Sie Nieten und Kurpfuscher entlarven“ scheint mir mit Ausnahme der letzten Empfehlung „Lassen Sie mögliche Diagnosen von einem Arzt überprüfen!“ mehr zur Unterscheidung „seriöser Heiler“ von diesen „Nieten und Kurpfuschern“ zu dienen denn zu einer generellen Vorsicht zu mahnen.

Da kann man eher das Folgende als Kritik an der Wissenschaft verstehen:

Die Art, wie Aldo Berti oder Waltraud Bleile Krankheiten heilen, wird allerdings von der Schulmedizin kategorisch abgelehnt. Zu Recht. Denn wissenschaftlich erforscht sind alternative Heilmethoden generell nicht.

Mit der pauschalen Aussage im letzten Satz dieses Zitats wird die Wissenschaft meines Erachtens viel zu schnell beiseite gefegt – darauf werde ich unten noch näher eingehen, Stichwort Placebo-Effekt.

Zunächst zu weiteren Oberflächlichkeiten und Unzulänglichkeiten – ein Beispiel:

„Ein Beispiel: Bei Krebserkrankungen wird nur einer von 80000 Betroffenen spontan geheilt. Biologische Heilverfahren können diese Spontanheilungsrate signifikant erhöhen (1:600), wie eine US-Studie erst kürzlich feststellte.“

Was versteht der Autor hier unter „biologischen Heilverfahren“? „Gewöhnliche“ Medikamente mit pflanzlichen Wirkstoffen? Das heilertypische Handauflegen? Bei Vollmond gepflückte und in großen Schwimmbecken aufgelöste Blütenblätter? Streicheln empfindlicher Körperteile mit Brennnesseln?

Eine präzisere Quellenangabe könnte auch nicht schaden, die USA sind nicht gerade klein.

Georg Francken ergänzt in Kommentar #20 (leider kein Direktlink möglich):

Heiler arbeiten ausschließlich im feinstofflichen Bereich.

Wobei es sich um religiöse und esoterische Konzepte handelt, die keinen Bezug zur wissenschaftlich akzeptierten Realität haben. (Vgl. Wikipedia)

Sie arbeiten mit Energie,

…ein Begriff, der in der Esoterik weit verbreitet ist, ohne mit dem Energiebegriff in der Physik vergleichbar, richtig greifbar oder auch nur vernünftig definiert zu sein (und somit praktischerweise nicht widerlegbar ist)…2

mit Schwingungen, mit Rhythmen und verwenden ähnliche Methoden wie sie die alternative Medizin aus vielen anderen Bereichen kennt, vom Ayurveda über die Mistel bis zur Schwingungsmedizin (Biofeldtherapie). Das kann bei Heilern dann durch Handauflegen passieren, durch handverlesene und handgestoßene Kräuter, durch rituelle Handlungen oder durch Anbetung einer Ikone.

Die Vielzahl von Methoden, die sich die Leute im Laufe der Zeit ausgedacht haben, wird nicht automatisch durch ebendiese Vielzahl überzeugender oder realitätsnäher. Eher im Gegenteil.

Alle Handlungen dienen letztlich nur diesem einen Zweck, den Selbstheilungsprozess zu fördern. Denn heilen kann sich der Betroffene nur selbst. Darin sind sich sogar Schulmedizin und Alternativmedizin mal einig.

Nur bleibt dem Betroffenen bei Heilern mit ihren „Energien“ und z.B. einem Aberglauben wie der Homöopathie gar nichts anderes übrig. Die Anhänger der Glaubensmedizin wettern doch so gerne gegen die langen Nebenwirkungslisten der Medikamenten-Beipackzettel? Vielleicht liegen diese einfach daran, dass solche Präparate tatsächlich Wirkstoffe enthalten, die klinisch erprobt wurden…?

Aber „sind die Erfahrungsberichte nicht Beweis genug?“, meint R.G. in Kommentar #28. Ich denke nicht – sie sind keine echten Beweise, denn sie sind stark subjektiv, man erfährt nichts über Patienten mit möglichst vergleichbaren Erkrankungen, bei denen die Heilbehandlungen versagt haben, und es fehlt entsprechend die Vergleichsmöglichkeit mit dem Krankheitsverlauf ohne diese Heilbehandlungen (Krankheiten können sich auch ohne äußeres Zutun verbessern oder verschlimmern).


Um auf das Zitat weiter oben zurückzukommen: Heilmethoden an sich mögen nicht wissenschaftlich erforscht sein, aber eine wissenschaftlich akzeptierte Sache, der Placebo-Effekt, wird nicht ein einziges Mal in diesem Artikel erwähnt.

Mir scheint, der Autor könnte Angst vor zuviel wissenschaftlicher Realität haben… nur schade, dass sich der Artikel dadurch m.E. schon grundsätzlich nicht als ausgewogene, ernsthafte Beschäftigung mit diesem Thema qualifizieren kann – was in Anbetracht des ungebrochenen Interesses so vieler Menschen an diesem Thema angebracht wäre. Angesichts der „vielen Erfahrungen bei Heilern, Heilpraktikern und Schamanen weltweit“ und der daraus folgenden Voreingenommenheit des Autors, die er in Kommentar #8 nennt, überrascht mich das aber auch nicht wirklich.

„Der Glaube kann Berge versetzen“, heißt es – und der Placebo-Effekt beschreibt eben positive Wirkungen auf die Gesundheit allein dadurch, dass der Patient an eine Wirkung glaubt, ganz ohne Bedarf an wissenschaftlich nachweisbaren physiologischen Wirkungen oder dass irgendwelche ominösen Energien oder Schwingungen durch ominöse Wege wie Handauflegen, Mantraaufsagen oder Gebete übertragen werden müssten.

Und die Heiler, Gurus und Schamanen bauen auf eine große Vielfalt solcher ominösen Methoden – einige sicher in gutem Glauben und ohne betrügerische Absichten, einige andere sicher mit der Absicht, zufriedene (oder sich für zufrieden haltende) Stammkundschaft aufzubauen, gar psychisch abhängig zu machen, die sie abzocken können. Zu dieser Unterscheidung ist der erwähnte Kasten im Artikel sicher hilfreich. Wissenschaftlich–realer oder auch nur weniger ominös werden die zugrundegelegten Methoden dadurch aber auch nicht.

Und Schutz vor Selbstbetrug ist auch schwer. Wenn ich von der Freude über „mehr Wohlbefinden“ lese3, nachdem jemand in einer anderen Stadt mit einem „Fern-Clearing“ zur Befreiung „von belastenden, negativen Energien […], die auch noch aus früheren Leben vorhanden sein können“ durchgeführt hat, frage ich mich wirklich, wohin die letzten Jahrhunderte seit Beginn der Aufklärung verschwunden sind.

Als Schlusswort dieses schon wieder viel zu lang geratenen Beitrags eine Erwiderung auf ein Zitat aus Kommentator #21 von Walter E.:

„‚Wirkung nicht erforscht‘ oder wissenschaftlich nicht erwiesen heisst nichts anderes als dass die Wissenschaft z.Zt.zu dumm ist die Vorgänge zu erklären.“

Oder es stecken jenseits des Placebo-Effektes einfach keine speziellen Vorgänge dahinter.

 


Linktips:

  1. Ja, der dort kommentierende Andreas bin ich. Und von etwas allgemeiner Kritik an der Oberflächlichkeit des Artikels abgesehen, bin ich dort offenbar der einzige „Realist“… []
  2. Mal abgesehen davon, dass für Arbeit (im physikalischen Sinn) ohnehin Energie (im physikalischen Sinn) nötig ist… []
  3. Kommentar #35 von Evelyn R. []

Links der Woche (2008/28)

  1. oder geändert, sei es mit Firebug oder durch Kopieren des Textes in einen Editor []
  2. ja, das ist ironisch gemeint []
  3. ja, das ist ironisch gemeint []