Quizfrage: Wenn jemand sich die Ohren zuhält und ein anderer mit den Fingern sanft auf seinem Kopf trommelt, was ist das?
- Lustig anzuschauen?
- Ein Grund zu sagen: Die sind doch plemplem?
- Eine Verquickung verschiedener esoterischer Heilmethoden?
Lösung: Alle drei Antworten treffen zu – es handelt sich um das sogenannte „BodyTalk-System“, auf einer ganzen Seite im Sonderthemenbereich „Fit und aktiv“ einer hiesigen kostenlosen Wochenzeitschrift beworben.
Unbedingt das Video eines australischen Seminars anschauen! (4 Minuten; leider nicht einbettbar.)
Was ist nun das „BodyTalk-System™“? Zitate von der Homepage:
Im BodyTalkSystem™ werden Elemente u.a. aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, Angewandten Kinesiologie, modernen Physik und dem Yoga holistisch vereint.
Na wenn das keine tolle Kombination ist! Man nehme ein altes Glaubensmedizinsystem mit seinem herbeiphantasierten Meridian-Konstrukt, ein modernes Glaubensmedizinsystem mit seinen nutzlosen Muskeltests, einen allgemeinen wissenschaftlichen Begriff, der das ganze wissenschaftlich–seriös erscheinen lassen soll, und den Namen einer bekannten indischen Körperübungs-Meditations-Philisophie, verrühre einmal mit den Buzzword „holistisch“, und fertig ist ein System, das man in Seminaren für Hunderte Euro weiterverbreiten kann. Bei Bedarf ergänze man noch mehr Modernität und mehr Geschwurbel (alle Hervorhebungen von mir):
BodyTalk ist ein revolutionäres System in der Gesundheitsvorsorge, das die neuen Kenntnisse der Energiemedizin nutzt, um die innere Kommunikation des Körpers zu optimieren.
Wenn die „Energiemedizin“ doch nur mal die Kenntnis erlangte, wie unsinnig und realitätsfern ihre Grundlagen doch sind…
Und um „möglichst vielen Menschen den Zugang zu den grundlegenden Vorteilen“ zu ermöglichen, nimmt man noch eine „vereinfachte Version“ hinzu und nennt das „BodyTalk Access“ – schon für weniger als 100€! Und wisst ihr was? Ich glaube, es gibt sogar Anbieter, die wirklich an das Gute ihrer Angebote glauben, ohne aufs Abzocken aus zu sein. (Aber eben auch die anderen.)
Mal angenommen, der Erfinder Dr. John Veltheim – ein australischer „Akupunkteur, Chiropraktiker, Osteopath und Philosoph“ – war nicht auch noch Comedian und hat sich das zum Spaß ausgedacht:
Wie funktioniert das nun, wozu tippt man auf den Kopf, legt man eine Hand auf den Kopf und eine auf den Hintern oder auf die Stirn, u.v.a.m., wenn man nicht grad die Frisur in Ordnung bringen will?
Die einfache Technik der BodyTalk-Anwendung besteht darin, systematisch durch Fragen und Berühren sowie sanftes Muskelbiofeedback spezifische Körperzonen heraus zu kristallisieren, die im komplexen „Gesamtsystem Mensch“ als zu balancierende Prioritäten aufzeigen, um die Gesamtkommunikation wieder aufzurichten.
Ja, die Kommunikation im Körper ist wichtig: Milz an Großhirn! Milz an Großhirn! Was ist denn da los bei euch, ich krieg ja überhaupt nichts mit!
Durch vertiefte Atmung, Berührung und Tippen auf Kopf und Brustbein werden diese Zonen vernetzt und aktiviert. Kommunikation unter Anleitung der inneren Körperweisheit wieder herzustellen, ist der Schlüssel des BodyTalk Systems.
Hauptsache eine nach etwas Großartigen klingende Schwurbelei als Grundlage… „Besonders wichtig“ sei natürlich die „Reihenfolge der Balance“ – und auch wenn gilt: „Der KörperGeist selbst zeigt die Prioritäten in der Sitzung“, so muss man den Interessenten ja noch irgendwas beibringen können, wenn schon die „Innere Weisheit“ alleine nicht ausreicht. Und ja, die CamelCase-Schreibweise von „KörperGeist“ verwenden die so.
BodyTalk ist sicher, unkompliziert und sanft, es bewirkt schnelle und effektive Veränderungen.
Oh, das mit den Veränderungen glaub ich gern: Verringerung des Kontostandes, Lachkrämpfe sowie Kopfschütteln wegen der Methoden – und auch Langzeitwirkung ist nicht ausgeschlossen: Kundenbindung und Weiterhineinziehen in die esoterischen Glaubenssysteme etwa. Passend zu einem genannten Anwendungsbereich: „Ablösung einengender Glaubensmuster“. Die Realität ist ja selbst schon ach so einengend, und darüberhinausgehende Glaubensmuster kann man immer noch ausdehnen, da hat noch viiieles Platz. Übrigens auch für Kinder – was ebenso bedauerlich ist, wie es in solchen Kreisen selbstverständlich zu sein scheint:
Das Anwendungsspektrum ist sehr breit. BodyTalk ist für Menschen aller Altersstufen und auch für Tiere geeignet, es gibt keine Kontraindikationen.
Außer der Hund beißt zu, wenn er das Herumgetippel nicht mag…
BodyTalk ist spannend, wirkungsvoll und bei allen kommunikativen Störungen des Körpersystems (auf allen Ebenen) alleine oder ergänzend zu anderen Therapien anwendbar.
Anwendbar ist vieles, genuin wirkungsvoll noch lange nicht. Placeboeffekte kann man aber auch einfacher und seriöser haben. Und wenn man sich die „kommunikativen Störungen“ und deren „Ebenen“ eh selbst definiert, ist man scheinbar aus dem Schneider – ich weiß nicht, ob BodyTalker ernsthaft eine Anwendung z.B. bei Querschnittslähmungen, bei denen ja Nervenbahnen und somit Kommunikationswege unterbrochen sind, in Betracht ziehen, aber wenn’s nichts bringt, sind Ausreden bei Esos ja nie weit weg. Und es schadet zumindest dem Körper dann auch nicht mehr.
Aber andere Anwendungsgebiete sehe ich da wesentlich problematischer, denn die Körpersprecher sehen ihre energetische Fummelei sogar als „ideales Werkzeug für alle, die in der Notfallmedizin tätig sind“, wie u.a. eines der wechselnden Bilder auf der Willkommensseite zeigt.
Bitte?!? Da kann ihr System ansonsten noch so neben- und wirkungsfrei sein, aber wie können sie es noch als „sicher“ bezeichnen, wenn Notfallsanitäter oder Ersthelfer damit ihre Zeit verplempern, den Patienten auf Kopf und Brustbein herumzutippen und dergleichen mehr?
Da muss wohl erst jemand deswegen sterben.
Irgendwie muss der Erfinder des ganzen doch ein Comedian gewesen sein – ein Zitat von ihm:
„Schmerzen sind zu 95% Emotionen auf Abwegen.“
Das mag zutreffen, wenn ein (vermeintliches) Liebespaar sich prügelt, aber erzähl das mal Unfallopfern – die werden dir was husten (wenn sie noch können)!
Ob BodyTalk auch die Schmerzen heilen kann, die entstehen, wenn man angesichts des ganzen Unfugs zu oft die Hand vors Gesicht schlägt?1
Siehe auch:
Fotos: Kombination von Maciek Lazecki und domiphoto – Tadija Savic; jew. Fotolia.com
Sylvia1 02.03.2009 um 13:21 1 Kommentar
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Oh je, es gibt schon bekloppte Menschen. Ein Blick in eine Physiologiebuch könnte all jenen Helfen, die Schmerzen banal als Emotionen auf Abwegen bezeichnen. Wer sich schon mal das Bein oder sonst was gebrochen hat weiß, dass man auch Schmerzen empfindet, wenn man emotional glücklich und ausgeglichen ist.