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Esoterik

Der alten Linde Sang und die Probleme mit Vorhersagen

Linde von Linn (Schweiz) Im Rahmen der immer wieder auftauchenden Diskussion in Konnas Weltuntergang-2012-Beitrag kam auch allgemein das Gespräch auf angebliche Hellseher; „Asgard“ hat u.a. ein Gedicht gepostet, das „Weissagungen“ enthalten soll. Das Thema insgesamt ist durchaus interessant genug, dass ich es hier aus skeptischer Sicht kommentieren will, auch wenn’s lang wird. (Zu anderen „Wahrsagern“ gibt’s ggf. ein anderes Mal mehr.)

Andere Meinungen sind natürlich auch willkommen – besonders wenn sie gut begründet sind… meinen kann und darf man eh viel, aber wenn’s eine Meinung über die Realität sein soll, muss sie sich auch objektiv daran messen lassen.

Asgard präsentierte das Gedicht mit diesen einleitenden Worten:

Der alten Linde Sang von der kommenden Zeit (um 1850)
Das Kernstück der Weissagung ist zweifellos aus der Zeit vor 1900 überliefert.
Eine Untersuchung des Papiers ergab das Jahr 1850. Das Lied von der Linde, aus der Stadt Staffelstein (Passau), könnte aber sogar auf Bartholomäus Holzhauser in das Jahr 1650 zurückgehen

Mal abgesehen davon, dass Staffelstein (Ort der Linde, in deren Stamm das Gedicht gefunden worden sein soll) knapp 250 km von Passau (Aufbewahrungsort bis zur Veröffentlichung 1947) entfernt liegt: Wie weiter unten noch zu sehen, wird im Text Hoffung in das 21. Ökumenische Konzil gesetzt, also liegt wohl nahe, dass das Gedicht (oder zumindest dieser Teil) geschrieben wurde, als das 20. Ökumenische Konzil – das 1. Vatikanische Konzil (1869/70) – zumindest einberufen worden war, also frühestens 1868. (Was einen deutlich späteren Termin natürlich auch nicht ausschließt.)

Aber A young Asian woman looks into a crystal ball bevor wir uns dem Gedicht zuwenden, überlegt euch mal kurz: Wenn ihr heute „mit der Gesamtsituation unzufrieden“ seid und warnende Weissagungen mit Happy End verfassen wolltet – was würdet ihr schreiben? Irgendwas mit Islamisten muss vorkommen, überhaupt eine angebliche Gefahr des Islam an sich, eventuell Nordafrika und die arabische Welt, und dass ein einst gemobbter Strahlemann (oder ein Nachfolger in seinem Geiste) das Land zurück zu seinen „christlichen Werten“ und zu neuem Glanz führen wird, zu mehr Gerechtigkeit und Wohlstand für alle trotz asiatischer Konkurrenz, und die negativen Auswirkungen des Klimawandels – etwa schwere Überschwemmungen, die gibt’s ja immer wieder, mit denen kann sich das Publikum identifizieren – werden nebenbei auch erledigt, und (ganz tagesaktuell) auch Katastrophen wie schwere Erdbeben überstanden. Und vielleicht wird der Strahlemann sogar noch Papst.^^

Wäre vor ein paar Jahrzehnten während des Kalten Krieges nicht die Angst vor einem russischen Einmarsch und dem 3. Weltkrieg das beherrschende Thema gewesen – in den Grundzügen übereinstimmend bei mehreren Personen?

Und was hätte wohl ein Monarchiefan des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts geschrieben, der vor derselben Aufgabe stand?

Doch nun zum – nicht gerade kurzen – Gedicht; wem’s zu lang wird, der kann ja ganz nach unten bis zum gähnenden Mann springen. Der Beginn ist eine Lobhudelei für die Linde, auf die man nicht groß eingehen muss:

Alte Linde bei der heiligen Klamm
Ehrfurchtsvoll betast’ ich deinen Stamm,
Karl den Großen hast du schon gesehn,
Wenn der Größte kommt, wirst du noch stehn.
 
Dreißig Ellen mißt dein breiter Saum,
Aller deutschen Lande ält’ster Baum,
Kriege, Hunger schautest, Seuchennot,
Neues Leben wieder, neuen Tod.
 
Schon seit langer Zeit dein Stamm ist hohl,
Roß und Reiter bargest einst du wohl,
Bis die Kluft dir sacht mit milder Hand
Breiten Reif um deine Stirne wand.
 
Bild und Buch nicht schildern deine Kron’,
Alle Äste hast verloren schon
Bis zum letzten Paar, das mächtig zweigt,
Blätter freudig in die Lüfte steigt.
 
Alte Linde, die du alles weißt,
Teil uns gütig mit von deinem Geist,
Send ins Werden deinen Seherblick
Künde Deutschlands und der Welt Geschick!

Inwiefern ein Baum tatsächlich allwissend sein kann, sei mal dahingestellt. :) Dass eine Linde über 1000 Jahre alt werden kann (Karl der Große wurde ja im Jahr 800 zum Kaiser gekrönt), ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Großer Kaiser Karl in Rom geweiht,
Eckstein sollst du bleiben deutscher Zeit,
Hundertsechzig, sieben Jahre Frist,
Deutschland bis ins Mark getroffen ist.
 
Fremden Völkern front dein Sohn als Knecht,
Tut und läßt, was ihren Sklaven recht,
Grausam hat zerrissen Feindeshand
Eines Blutes, einer Sprache Band.

Was genau heißt „Hundertsechzig, sieben Jahre Frist“? Die übliche Deutung ist anscheinend „160 Sieben-Jahres-Fristen“, also eine poetische Form in seltsamer Rechtschreibung, um 160*7=1120 Jahre auszudrückenn; +800 wäre also 1920. Durchaus naheliegend, dass jemand, der ein prophetisch-warnendes Gedicht schreibt, sich auf die nahe Zukunft bezieht – oder dass dieser Text tatsächlich erst nach 1920 entstanden ist. Eine bessere Deutung dieser Zeile fällt mir jedenfalls nicht ein.

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Links und Video der Woche (2011/8)

Aus-Bildung

Die Bildung muss wirklich ziemlich im Aus stehen bei so einer Anzeige auf den Sonderseiten zum Thema Ausbildung letzte Woche in den hiesigen Anzeigenblättern:

Anzeige: Ausbildung zum Quantenheiler

Eine Bildung in Sachen Quantenphysik kann dieser „Heiler“ sicher nicht aufweisen – offenbar noch nicht mal in den Grundbegriffen, denn er nennt seinen Quark zwar „Quantenheilung“, verliert aber auf seiner Webseite1 ungewöhnlicher­weise kein weiteres Wort über die Quantenphysik. Dort wird es quasi als Ersatz für (bzw. im Standard-Disclaimer neben) „geistigem Heilen“ verwendet; und die Praxis nennt er wiederum „für energetisches Heilen“.

Auch wird es als „traditionelle Quantenheilung“ bezeichnet, wo „traditionell“ doch sonst eher auf wesentlich Älteres als die Quantenphysik bezogen wird. Wo den üblichen „Geistheilern“ schon schnurz ist, ob ihr Tun eine nachweisbare Mehr-als-Placebo-Wirkung auf ihre Patienten hat – sie glauben ja meist selber dran, wer braucht da schon objektive Belege? –, will dieser anscheinend nur ein populäres Schlagwort bedienen, ohne sich auch nur so wenig mit den physikalischen Grundlagen zu beschäftigen, dass er wenigstens mit weiteren sinnentstellten Fachbegriffen herum­schwurbeln könnte. Muss doch schlecht fürs energetische Karma sein, sich solch eine Chance entgehen zu lassen…

Dazu passt auch dieser kuriose Satz auf der Seite:

Die häufigste Frage, die ich in diesem Zusammenhang höre: „Muss ich daran glauben, damit’s hilft?“ kann ich verneinen, denn eines gilt immer und überall – das Gesetz der göttlichen, heilenden Liebe, für die ich während einer Sitzung als Mittler fungiere ist stets für jeden Menschen im Überfluss vorhanden.

Kein alles-mit-allem-schwingend-verbunden-sagt-schon-die-moderne-Physik–Unsinn, sondern schlicht und einfach die „göttliche Liebe“, nur erweitert mit einem angeblichen „Gesetz“, einem Begriff, der in solch absurder Verwendung ja spätestens seit The Secret populär ist – der Ironie, dass er hier „kein Glaube nötig“ und „göttlich“ in einem Satz unterbringt, dürfte er sich auch nicht bewusst sein. Vielleicht sollte er sich da von seinen „geistigen Beratern, Engeln, etc.“ noch etwas besser beraten lassen…

Zu diesem Bezug aufs „Göttliche“ passt natürlich auch, dass er Pfarrer mit anspricht. Gleich und Gleich – religiöser Glaube und esoterische Glaubensmedizin, beide mit gewissen Problemen mit dem Realitätsbezug – mögen sich zwar gut gesellen, doch ob viele Pfarrer auf sowas anspringen? Und Ärzte? Ich würde ja sagen, Ärzte, die sich auf so ein nicht-evidenzbasiertes Niveau herablassen, verdienen diese Berufs­bezeichnung gar nicht, aber das wird den einen oder anderen sicher nicht abhalten. Am meisten Erfolg mit den Seminaren wird er da sicher unter seinesgleichen haben.

  1. torsten-gerbes.de/geistheiler_muenchen/geistheiler_muenchen.html archiviert bei WebCite am 9.2.11 []

Erweitern Sie Ihren Horizont!

goldfishes „Erweitern Sie Ihren Horizont!“ – so titelt das aktuelle Programmheft der VHS Pfaffenhofen, dazu eine Variation des nebenstehenden Goldfisch-Fotos1. Nun hat eine VHS ja wirklich etliche Angebote, die den persönlichen Horizon ganz gut erweitern können – von EDV-Kursen über Reiseberichte, Kunstlehrgänge und Exkursionen bis zu Fremdsprachen.

Doch eben, wenig überraschend, gibt’s auch ein paar realitätsferner Angebote, nicht nur zweimal immer noch unter Ökologie einsortiertes Feng Shui oder ein Wasserader-Elektrosmog-„Rutengänger in der modernen Zeit“ passenderweise in derselben Kategorie, sondern (wie auch schon in früheren Jahren) die Kategorie „Medizinische Themen – Naturheilkunde“, bei der die wegen ihres Einschließens der esoterischen „Alternativmedizin“ zweifelhafte „Naturheilkunde“ in den Seitenüberschriften dann wieder fehlt.

Und so tummeln sich unter dem scheinbar ernsthaften Titel sieben Kurse von fünf esoterischen Heilpraktiker(inne)n, die den einen Kinder-Erste-Hilfe-Kurs eines BRK-Rettungsassistenten und die vier Kurse in der nachfolgenden Kategorie „Gesundheitsforum“ fast schon an die Wand drängen; und ein paar Zimmer, pardon, Kategorien weiter feiern noch die Schamanen fröhliche Urständ.

(Apropos Heilpraktiker: Gibt’s überhaupt eine nennenswerte Anzahl davon, die nicht dem esoterisch–glaubensmedizinischen Bereich angehören?)

Auch wenn ein Kurs wie „Rund ums Herz“ in seiner Beschreibung gar nicht so auffällig esoterisch klingt – wenn ein Blick auf die sonstigen Angebote der Kursleiterin eine volle Palette aus dem evidenzlosen Bereich bietet, suche ich mir meine medizinischen Ratschläge lieber woanders.

Schade jedenfalls, dass gerade die fälschlicherweise so gern „sei doch mal offen“ Sagenden nicht nur berufsbedingt beim Versuch, ihren Horizont zu erweitern, so weit vom Boden der Realität abgehoben haben, dass sie gar keinen Horizont mehr sehen – und das, wo die wissenschaftlichen Lande vor dem immer weiter zurückgedrängten Horizont so vielfältig und faszinierend sein können…

  1. der springende Fisch ist direkt über den Spritzern, das rechte Glas fehlt, der Hintergrund ist himmelblau – aber die Spritzer und die Fische links sind identisch; vielleicht gibt’s auch direkt so eine Variante, die ich aber auf die Schnelle nicht gefunden habe — Quelle: khz – Fotolia.com []