Astrologen halten ja viel von ihren Horoskopen, und so verwundert es nicht, wenn sie auch zu medienpräsenten Großprojekten wie dem LHC etwas zu sagen haben. Was der den Lesern von Astrodicticum Simplex und Kritisch gedacht bekannte Astrologe Markus Termin am Vorabend des Starts des LHCs am 10.9. in seinem Atikel dazu geschrieben hat, ist aber doch etwas, ähm, anders.
(Ich hatte mir durchaus überlegt, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf sowas einzugehen und ihm die unverdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen, noch dazu so spät (da ich recht beschäftigt war und mir meine Montreux-Bilder wichtiger waren), aber sei’s drum; ein paar kurze Kommentare kann ich mir nicht verkneifen.)
Schon der Titel „“Teilchen” (sic!) beschleunigen“ mutet seltsam an – was soll denn an „Teilchen“ falsch oder widersprüchlich oder sonstwie so hervorhebenswert sein, das dieses sic! rechtfertigt? Selbst in seinem Artikel wird das nicht klar.
Der Beginn lässt noch eine astrologische Betrachtung dieses Mega-Forschungsprojektes vermuten:
Nürnberg 21:12 – wenn der Mond durch die Zeichen geht, dann aktiviert er in unserem Horoskop, also auch in unserer Seele, eben jenen Bereich, den er durchwandert. Die Konjunktion mit Jupiter bringt, es ist offensichtlich, das unglaublichste Wetter, zumindest bei uns,
Und anderswo, wo kein so unglaubliches Wetter ist, besteht dann keine Konjunktion von Mond und Jupiter? Und was ist mit Genf, wo der LHC steht? Ist das nicht etwas arg willkürlich, selbst für die Astrologie?
und so wird der Liebe Gott die Gedankenkraft angeregt haben, die uns dazu bringen will, die Welt neu zu interpretieren.
Das lokale Wetter und die spekulative Gedankenkraft-Anregung durch einen „lieben Gott“ haben also durch die Bewegung des Mondes eine astrologische Verbindung?? Und das jetzt, obwohl Plan und Bau des LHC auch schon vor etwas längerer Zeit begonnen haben?
Auch morgen wird der Mond noch im Steinbock sein. Man neigt im Steinbock-Mond mehr zu mathematischen, denn zu sprachlichen Kenntnissen, und das ist interessant, weil die Herren Wissenschaftler – falls was passiert, werden sie sagen: “sorry, wir mußten es einfach ausprobieren!” – […]
…und dies ist der erste einfach mal eingeschobene Nebensatz, der nichts mit dem Rest zu tun hat, sondern schlicht die Wissenschaftler schlechtmacht. Es ist nicht der einzige, so wird (trotz des Lobes, nicht den 11.9. als Start gewählt zu haben) ein Sichlustigmachen über die Terroranschläge unterstellt — „…ob nicht auch der nine eleven Tag – “was war das gleich? – oceans eleven – hahaha …” in Frage kommt“ —, und später folgt ein indirekter Vergleich mit Kriegstreibern:
Der Grund [für die Gefährlichkeit] ist dieser – und das wissen Physiker, nur sind sie Hasardeure, ein Wort, dessen Revitalisierung wir Gerhard “Gasprom” Schröder in Beschreibung des Georgien-Kriegs (lassen wir das euphemistische “Konflikt”) “verdanken” – man braucht ein halbes Atomkraftwerk, um so ein winzig kleines Teilchen auf 180 zu bringen: no lie!
Verpufft so nicht jeder Rest-Anspruch an Seriosität, den er für seine Astrologie und seine Website haben mag?
Das war übrigens auch Termins „Antwort“ auf die Frage „Warum ist das Experiment am CERN in Genf so gefährlich?“ Ich sehe da irgendwie keinen Zusammenhang mit dem hohen Energiebedarf der gesamten Anlage (von der das meiste für die Kühlung und den Betrieb an sich draufgeht). Höchstens einen Zusammenhang mit der Argumentation dem verschwurbelten Schwadronieren darüber, dass er den eigentlichen Zweck des LHC, die Physik Schwarzer Löcher1 und die ach so großen Gefahren besser kenne als alle Beteiligten, garniert mit seinem Glauben an eine nichtkonstante Lichtgeschwindigkeit und abstrusen Vergleichen…
In Wirklichkeit offenbart er nur seine grundlegende Unkenntnis der Physik, den offensichtlichen Unwillen, sich selbst mal ordentlich zu informieren – leider weit verbreitet –, und die Verachtung der generell ach so bösen Wissenschaftler. Die ganzen Einzelheiten erspare ich euch lieber; hier nur ein Beispiel:
Welches Experiment? Es geht um einen Geschwindigkeitsrekord: man will fast Lichtgeschwindigkeit erreichen; jeder ahnt, dass damit, könnte man die Marke tatsächlich knacken, die Erde WARF-Antrieb bekommen würde: willkommen auf der Brücke, Captain James Tiberius Kirk!
Jeder ahnt, dass er sich in der Roddenberry’schen Science-Fiction offenbar genausowenig auskennt wie in der Physik: Weder basiert der Warp-Antrieb darauf, Materie selbst auf (Über-)Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen2, noch lassen sich Teilchen mit Ruhemasse gemäß der Relativitätstheorie überhaupt auf Lichtgeschwindigkeit bringen, geschweige denn darüber hinaus. (Und die hohe Geschwindigkeit ist nur Mittel zu dem Zweck, hohe Energien zu erreichen, und nicht das eigentliche Ziel des LHC.)
Worin liegt also die Gefahr des LHC?
Ich würde sagen: Darin, dass alle möglichen Panikmacher und Aufmerksamkeitsheischer, die entweder keine Ahnung von der Materie haben bzw. glauben, nach ein paar gelesenen Internetseiten mehr zu verstehen als nach einem mehrjährigen Physikstudium, oder deren Einwände bereits widerlegt wurden, daherkommen und die Leute verwirren und verängstigen, und dass denen, die Wissenschaft und Wissenschaftler verachten, dadurch ein Anlass geboten wird, dieser Verachtung Ausdruck zu verleihen, wodurch latente Wissenschaftsfeindlichkeit, die es in Teilen der Bevölkerung sicher gibt, weiter geschürt wird.
Jener Artikel endet mit einem Horoskop-Chart – also Grafik und Tabellen für die Planetenpositionen und -beziehungen. Aber nicht für den LHC – das wäre auch zu naheliegend. Nein, für ein Foto des Mondes mit dünner Bewölkung, von ihm am 9.9. um 19:47 in Nürnberg aufgenommen, das er weiter oben eingebunden hat. Also Zeit und Ort, die nichts mit dem LHC (rund 500 km entfernt, Start um 10:28 MESZ am 10.9.) zu tun haben. Wozu? Kommt es in der Astrologie nicht auf den möglichst genauen Punkt in der Zeit und auf der Erde an, wie sie einem immer weismachen will?
Mir scheint, er wollte den Artikel einfach nicht ohne eine seiner geliebten Horoskop-Grafiken beenden3, Hauptsache er konnte seine Angst vor der Wissenschaft im Allgemeinen und dem LHC im Speziellen kundtun, seine Verachtung für Wissenschaftler einstreuen und unfreiwillig seine Unkenntnis darlegen…
P.S.: Für den Tag des morgigen “Experiments” stehen Sonne und Uranus in genauer Opposition. Wird schon schiefgehen!
Oh, doch noch etwas Horoskopisches zum LHC. Und in welch Ausführlichkeit!
Wie schreibt er doch in einem anderen Beitrag (der auch nicht grad von mehr wissenschaftlichen Wissen zeugt4):
Freilich läßt solcher Wahnsinn sie nicht nach Fehlern im System suchen, sondern sie sind begeistert von ihrem Hokuspokus.
Das Zitat sollte ich mir merken… Er spricht zwar über die Physiker – aber noch viel besser passt dieser Satz auf Astrologen, finde ich. Und auf irrationale wissenschaftsfeindliche Weltuntergangs-Verschwörungstheoretiker.
Linktips:
- Kein Weltuntergang: LHC ist sicher!.
- LHC-Info-Seiten beim CERN, dort auch eine 60-seitige PDF-Broschüre mit vielen Informationen und FAQs (englisch).
Update: Er hat, wie er mir auch freundlicherweise mitgeteilt hat, nun ein LHC-Horoskop erstellt – und kombiniert es gleich auf, sagen wir, kreative Weise: Teilchenbeschleundiger und Kreditkriese [sic!].
Fotos: Sternzeichenuhr zager/sxc; LHC poluz/flickr; Gesicht scol22/sxc
- er „vergisst“ z.B. die Hawking-Srahlung [↩]
- stattdessen wird der Raum verbogen [↩]
- und er verzichtet gar auf eine Interpretation – fürchtet er etwa, es würde Nachteiliges über ihn selbst aussagen? [↩]
- z.B. hält er die Zeitdilatation für Unsinn, die aber z.B. beim GPS eine Rolle spielt und auch sonst mehrfach bestätigt ist [↩]