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Ein „planvolles Lottospiel“?
Bei meinem ersten Artikel über „Lottovorhersagen“ hatte kürzlich jemand mit gewissermaßen offizieller E-Mail-Adresse eines Lotto-Totostrategen-Forums kommentiert, und in einem Thread dort hat ein Admin mit den Worten „Hier wird über uns getuschelt“ auf ebendiesem Artikel (bzw. die Kommentare dazu) hingewiesen.1
Ein Thomas meinte dann ein paar Tage später in, sagen wir, eigenwilligem Satzbau:
wer einmal begriffen hat dass sich planvolles Lotto Spiel auf die 2 Hauptpfeiler:
1. die U/G Verteilungen:
4/2 und 2/4 und 3/3 — insgesammt in 81,9 % aller Ziehungen 6 aus 49 seit 1955 auftreten !2. das Auftreten von Endziffer Paaren !
abstützt.
und alle 49 Zahlen in sein systematisches Spiel einbezieht !
––––––––––––––––kann sich das Beschäftigen mit weiteren Kommentaren, die immer und immer wieder vorgetragen werden (aber überwiegend völlig banal sind) ersparen !!!
(Dass er außerdem meinte, ich „verstecke“ mich auf meinem eigenen Blog hinter meinem Pseudonym, will ich hier gar nicht weiter thematisieren…)2
Nun geht’s in meinem Artikel, der im Forum verlinkt ist, um die Global-Scaling-„Vorhersage“, deren Haupteigenschaft ein gewisser Mindestabstand zwischen den Zahlen ist (damit es mehr „Beinahetreffer“ (±1 und ±2) gibt, die man den Kunden als „gut“ suggerieren kann, auch wenn sie keine praktische Bedeutung haben) – das entspricht offenbar nicht dem, was sich Thomas unter „planvollem Spiel“ vorstellt. (Wahrscheinlich mag er dann auch Stefano G.s Methode nicht, die sich auf einstellige Zahlen und dabei vor allem die 1 versteift.)
Dass man alle 49 Zahlen ins Spiel einbeziehen sollte, liegt irgendwie schon in der Natur des 6-aus-49-Lottos; wär doch blöd, wenn man etwa die 12 und die 1 weglässt, weil das der Geburtstag der Exfrau ist, oder alle Primzahlen, weil einem die zu mathematisch sind, und deswegen nicht gewinnt…
Und dass Gläubige – wozu ich auch die Lottovorherberechenwoller zähle – „banale“ Kommentare, die auf die Unmöglichkeit ihres Tuns hinweisen, als „Blaa Blaa“ abtun und nicht hören wollen, kann ich gut verstehen, aber ich lege ihnen dennoch nahe, die Situation einmal ordentlich zu überdenken, vielleicht sind sie doch noch nicht komplett lernresistent…
Wenn wir für einen Moment mal ignorieren, dass die Vergangenheit bei einem Zufallsexperiment wie den Lottoziehungen ohnehin keine Rolle spielt, dass man Lottozahlen also weder vorhersagen noch vorherberechnen kann – und jedes Ziehungsergebnis stets gleich wahrscheinlich ist (1 2 3 4 5 6 etwa ist genauso wahrscheinlich wie 3 12 13 16 23 41, nämlich 1 : 13.983.816) – und die Statistik hier höchstens dazu geeignet ist, schöne Prozentzahlen zu produzieren (und Zeit zu verschwenden), aber keinesfalls zur Vorhersage (da sind ja die angeblichen Einflüsse jenes Astrologen noch aussichtsreicher…) – wie wahrscheinlich sind die Verteilungen, die Thomas und seine Forumskollegen ausnutzen wollen, denn tatsächlich? Sind die 81,9% wirklich etwas Besonderes? Und hat das überhaupt eine Bedeutung?
Liegt der Irrtum der Strategen nun darin, dass (1) bestimmte Eigenschaften der gezogenen Kugeln vermeintlich deutlich von den rechnerischen Wahrscheinlichkeiten abweichen, oder dass es (2) von Vorteil wäre, Zahlen zu tippen, die zu größeren Gruppen (wie denen mit ungefähr gleich viel geraden und ungeraden Zahlen) gehören? Da diese Frage anhand des Zitats nicht zu entscheiden ist (und sicherlich beide Irrtümer ihre Anhänger haben), betrachten wir beide Fälle.
1a. Ungerade/Gerade
Ich versuche mich hier an einer ausführlicheren Erklärung auch für die, die mit Mathematik weniger am Hut haben (wie meine Mutter zum Beispiel ):
Bei jeder der sechs gezogenen Kugeln gibt’s natürlich zwei Möglichkeiten: gerade oder ungerade. Wir ziehen der Einfachheit halber erstmal nur zwei Kugeln – und es sollte offensichtlich sein, dass diese entweder ungerade–ungerade, ungerade–gerade, gerade–ungerade oder gerade–gerade sein können, dass es also vier mögliche Ziehungsergebnisse gibt (auch wenn wir diese später z.T. zusammenfassen). Zu Beginn sind 25 ungerade Kugeln (1,3,5,…,49) und 24 gerade (2,4,…,48) im Ziehungsgerät. Schauen wir’s uns im Detail an:
Möglichkeit A: die erste Kugel ist ungerade – da es eine beliebige der 25 von den 49 Kugeln sein kann, ist die Wahrscheinlichkeit hierfür natürlich 25/49 oder ca. 51,0%.
A1: Die zweite Kugel ist auch ungerade – mit einer Wahrscheinlichkeit von 24/48 (50%) für diese Ziehung, da eben noch 24 von den verbleibenden 48 Kugeln ungerade sind. Die Wahrscheinlichkeit insgesamt für die Folge ungerade–ungerade ist das Produkt: 25/49*24/48 ≈ 25,5%.
A2: Die zweite Kugel ist gerade – auch 24/48, da ja noch alle 24 geraden Kugeln drin waren, also auch 25/49*24/48 ≈ 25,5% für ungerade–gerade.
Möglichkeit B: die erste Kugel ist gerade – hier gilt analog 24/49 ≈ 49,0%.
B1: die zweite Kugel ist ungerade: 25/48 ≈ 52,1%, also 24/49*25/48 ≈ 25,5% für gerade–ungerade.
B2: die zweite Kugel ist gerade: 23/48 ≈ 47,9%, also 24/49*23/48 ≈ 23,5% für gerade–gerade.
Da uns die Reihenfolge egal ist, da wir also ungerade–gerade und gerade–ungerade nicht zu unterscheiden brauchen, addieren wir die Werte und erhalten dann insgesamt für zwei gezogene Kugeln:
beide ungerade: | 25,5% |
eine ungerade, eine gerade: | 51,0% |
beide gerade: | 23,5% |
Das können wir jetzt mit der dritten, vierten, fünften und sechsten Kugel weiterführen und erhalten am Ende 64 (26) verschiedene Ziehungsfolgen von 6x gerade bis 6x ungerade und ihre jeweiligen Wahrscheinlichkeiten – wer will, kann sie sich hier komplett anschauen (Klick). ▼
Addieren wir nun wieder die gleichbedeutenden Kombinationsmöglichkeiten, erhalten wir die Werte in der folgenden Tabelle – die ich auch gleich um die Analyse der tatsächlich gezogenen Zahlen (in gold) aus allen 4970 Ziehungen von 1955 (dem Beginn des deutschen Lottos) bis einschließlich 3.6.2009 (das war der Stand der Daten, die ich für diese Analyse verwendet hatte) ergänzt habe:
Theorie | Analyse | |||||
---|---|---|---|---|---|---|
ungerade | gerade | verschiedene Möglichkeiten |
Wahrscheinlichkeit | erwartete Ziehungen |
Ziehungen | Prozent |
0 | 6 | 1 | 0.963% | 48 | 54 | 1.087% |
1 | 5 | 6 | 7.599% | 378 | 375 | 7.545% |
2 | 4 | 15 | 22.796% | 1133 | 1087 | 21.871% |
3 | 3 | 20 | 33.290% | 1655 | 1661 | 33.421% |
4 | 2 | 15 | 24.967% | 1241 | 1320 | 26.559% |
5 | 1 | 6 | 9.119% | 453 | 421 | 8.471% |
6 | 0 | 1 | 1.266% | 63 | 52 | 1.046% |
Zusammengefasst: | ||||||
2/4 oder 3/3 oder 4/2 | 50 | 81.054% | 4028 | 4068 | 81.851% | |
alle anderen | 14 | 18.946% | 942 | 902 | 18.149% |
Wir sehen also:
Die Abweichung der tatsächlichen 81,85% von den theoretischen 81,05% ist so gering, dass man sie nun wirklich nicht ernsthaft signifikant nennen kann! (p = 0.1522 im χ²-Test, wer’s genau wissen will.) Die Ziehungen sind also noch klar im Rahmen des Zufalls – und etwas anderes war ja auch nicht zu erwarten.
1b. Endziffergruppen
Da ich nicht weiß, was genau der Stratege bei „Auftreten von Endziffer Paaren“ betrachtet, nehme ich die größte Gruppe gleicher Endziffern pro Ziehung (bei z.B. 4 12 14 16 24 42 wäre das 3, bei 17 18 21 35 36 43 hingegen 1, da keine gleichen Endziffern auftreten).
Dies geht im Prinzip genauso wie oben, nur dass es eben 10 Möglichkeiten pro gezogener Kugel gibt, wodurch es insgesamt 999936 verschiedene mögliche Folgen gibt – eine Million (106) abzüglich der unmöglichen, denn die Endziffern 1 bis 9 sind nur je 5x vorrätig (1,11,21,31,41 etc.) und die 0 nur 4x (10,20,30,40). Es ergibt sich diese Tabelle, wiederum mit der Analyse der 4970 Ziehungen seit 1955 (in gold) ergänzt:
Theorie | Analyse | ||||
---|---|---|---|---|---|
max. Gruppe | verschiedene Möglichkeiten |
Wahrscheinlichkeit | erwartete Ziehungen |
Ziehungen | Prozent |
1 | 151200 | 20.649% | 1026 | 1022 | 20.563% |
2 | 691200 | 70.135% | 3486 | 3486 | 70.141% |
3 | 144900 | 8.901% | 442 | 447 | 8.994% |
4 | 12150 | 0.312% | 15 | 15 | 0.302% |
5 | 486 | 0.003% | 0 | 0 | 0.000% |
Zusammengefasst: | |||||
2 bis 5 | 848736 | 79.351% | 3944 | 3948 | 79.437% |
Wir sehen hier: Die Abweichung von den erwarteten Werten ist noch deutlich geringer als oben bei ungerade/gerade, für eine „Vorhersage“ wären diese Endzifferngruppen also noch weniger geeignet. (p = 0.9203(!) im χ²-Test.)
2. Große Gruppen
Nun haben wir im Beispiel ungerade/gerade eine große Gruppe mit 2/4, 3/3 und 4/2 ungeraden/
Nichts, denn: Zwar ist es natürlich wahrscheinlicher, dass die gezogenen Zahlen in dieser großen Gruppe liegen, doch ob man eine von 11.334.400 (81,05%) der 13.983.816 möglichen Tippreihen tippt, von denen mit 81,05% Wahrscheinlichkeit eine gezogen wird, oder eine der restlichen 2.649.416 (18,95%), von denen mit 18,95% Wahrscheinlichkeit eine gezogen wird, macht einfach keinen Unterschied, es kommt im Endeffekt dasselbe raus.
Vielleicht ist es beim Würfeln anschaulicher: Offensichtlich ist es viel wahrscheinlicher, dass ein Wurf mit einem (idealen) Würfel in der Gruppe der Zahlen 1 bis 5 landet, als dass die 6 geworfen wird. Würde jemand so eine „Gruppenwette“ (zu gleichen Bedingungen hinsichtlich Einsatz und Gewinn) anbieten, würde man natürlich die Gruppe von 1 bis 5 wählen – nur gibt es verständlicherweise keine solchen Anbieter. Und bei einer Wettmöglichkeit auf nur eine Zahl (bzw. im Lotto: eine Tippreihe) ist es wiederum piepegal, ob es da eine Gruppe von 1 bis 5 gibt oder nicht – zumal so eine Gruppeneinteilung auch vollkommen willkürlich ist –, jede Augenzahl ist gleich wahrscheinlich.
Die gezogenen Zahlen interessiert es eben nicht, ob sie in die eine oder andere Gruppe fallen – was für einen Gewinn entscheidend ist, ist, dass man sie getippt hat, und da die Wahrscheinlichkeit für jede einzelne der knapp 14 Millionen Kombinationen nunmal exakt dieselbe ist, kann man sich die Gruppenrechnerei sparen. (Und das Spielen selbst eigentlich auch…)
Fazit
Die Ergebnisse in Teil 1a und 1b verwundern natürlich nicht, denn – wie gesagt – bei einem reinen Zufallsexperiment, wie es die Lottoziehung nunmal ist, kann man mit Statistik nichts vorhersagen, denn die Wahrscheinlichkeiten für die nächste Ziehung werden eben nicht von der Vergangenheit beeinflusst, jedes Ziehungsergebnis ist stets gleich wahrscheinlich – und, wie in Teil 2 erläutert, eine Gruppenzugehörigkeit anhand irgendwelcher Eigenschaften ist irrelevant, denn eine wegen ihrer Größe wahrscheinlichere Gruppe macht einzelne Treffer auch nicht wahrscheinlicher.
Die Kugeln haben eben kein Gedächntnis – wie sollten sie auch? –, da helfen weder ach so schlaue „planvolle Systeme“ noch lächelnde Lottofeen noch gedächtnisfördernde Medizin.
Siehe auch:
- Wikipedia: Spielerfehlschluss (mit dem Münzwurf als Beispiel)
- Spielen-mit-Verantwortung.de – Portal zum Thema Glücksspielsucht der BZgA und der Lottogesellschaften.
PS: Sollte jemand Rechenfehler finden, darf er gerne Bescheid sagen.
PPS: Nein, dies ist keine Werbung für Glücksspiel, und ich hab auch nichts mit den Lottogesellschaften zu tun.
Fotos: Lotto Baden-Württemberg (Presseseite)
- Allzu viele interessierte Forenmitglieder gab’s wohl nicht, wenn ich meine Referrer-Statistik so anschaue… [↩]
- Außerdem meint Administrator Norbert dazu: „Gute Antwort – Der Kandidat erhält 10 Punkte“. Tja, selbst in Relation zu den sprichwörtlichen 99 Punkten finde ich das noch etwas viel… [↩]
Projekt 52/21: Emotionen
Das Thema der Woche bei Saris Projekt 52 ist „Emotionen“…
- der möchtegernwissenschaftlichere Teil der Homöopathen etwa beruft sich gern darauf [↩]
Grafik, Links und Videos der Woche (2009/21)
(von Pantoffelpunk via Cashy) Weitersagen. Weitergeben. Verstehen. Benutzen der Grafik ist ausdrücklich erlaubt.
Und den Fernsehbeitrag von ZAPP „Heftige Proteste gegen Sperrungen im Internet“ hat wahrscheinlich auch schon jeder gesehen:
Weiter zum Rest der Links und Videos:
- Faithist Memes, Religious Privilege, Victimization, and Bad Arguments – gängige Argumente für Gott und warum sie nicht funktionieren (via Friendly Atheist).
- Bündnis 90/Die Grünen träumen von der „Komplementärmedizin“ (und machen sich dadurch praktisch auch unwählbar).
- Zeitungsartikel: „Schöner leben mit Verschwörungstheorien“ (via Achter)
- „Was für eine wunderbare motivierende Ansprache von Brain Greene, dem bekannten String-Theoretiker, Kosmologen und Fürsprecher für die wunderbare Erfahrung von Wissen und über die fehlende Achtung für Wissenschaft(ler):“ (schreibt Diax’s Rake)