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Atheismus oder Anti-Wissenschaft

Ermittlungen gegen zyprische Global-Scaling-Vermarkter

Meine Stammleser erinnern sich vielleicht noch an die angeblichen Lottovorhersage einer Pseudowissenschaft namens Global Scaling, die mit fundamentalen Fraktalen und Protonen­resonanzen quasi die ganze Welt erklären will – was ihr bei Prozessoren (und anderen Dingen) nicht mal mit radosophischer Rosinenpickerei so recht gelingt, wie ich letztes Jahr dargelegt habe – und zu der es eine in Nordzypern ansässige Firma gibt, die Anleger für eine Verschlüsselungs­technologie gesucht hatte.

Wie mir nun zugetragen wurde (danke!), wird nun gegen diese Firma, die GSDI Cyprus Ltd., ermittelt – wie auf der Seite der Kanzlei Lippke gemeldet wird:

Jetzt bangen die Anleger um ihr Geld. Laut Auskunft der Staatsanwaltschaft Dresden wird im Zusammenhang mit der GSDI Cyprus Ltd. ein umfangreiches Ermittlungsverfahren geführt. Nach vorliegenden Informationen hat die Staatsanwaltschaft Dresden dabei Konten der ebenfalls in Nord-Zypern ansässigen Yesilada-Bank gepfändet.

(Kurze Hinweise für Anleger, die ihr Geld zurück wollen, gibt’s dort auch.) Die Hauptwebsite, die für die Anlegerwerbung benutzt wurde, www.morint.com, ist seit kurzem anscheinend nicht mehr erreichbar. Zudem ist die Website www.protosafe-security.com der Verschlüsselungsprodukte namens ProtoSafe derzeit „under construction“ – muss natürlich nicht viel bedeuten…

Das deutsche Global-Scaling-Institut wiederum, das sich mit den Schwerpunkten Ausbildung, Forschung, Projekten, Dienstleistungen und Programmen präsentiert – die „Lottoprognose“ wird nicht mehr so auffällig präsentiert wie noch vor ein paar Jahren, ist aber noch da und aktiv –, gibt in einem aktuellen „Rundbrief an betroffene Anleger“1 an, sie hätten nur „die Entwickung der Technologie bis 2007 konsultativ begleitet“ und nicht gewusst, wie viel Geld GSDI seitdem bekommen hätte. Weiter schreiben sie:

Seit mehr als einem Jahr wurde uns jegliche Möglichkeit und jegliche Versuche, mehr über die technischen Details von ProtoSafe oder Secureball zu erfahren, seitens der GSDI unterbunden. Hätten wir gewusst, dass schon seitens der Gläubiger enorm viel Geld investiert wurde, hätten wir uns auf jeden Fall in die Sache eingemischt um die Menschen zu warnen.
[…]
Wir haben vor, gegen die Firma, die Investoren gelockt hat, wegen Missbrauchs des Global Scaling Namens rechtlich vorzugehen. Gleichzeitig wäre es geschickt, wenn alle Anleger und Investoren per Gericht die Rückzahlung der Gelder einfordern.

Man gibt sich nun also ganz unwissend und nobel. Ob das mit dem Namensmissbrauch klappen kann, obwohl das GS-Institut ja früher begleitend dabei war? Keine Ahnung. Den folgenden Vorschlag finde ich dann schon sehr dreist:

Wir unsererseits greifen den Anlegern unter die Arme mit folgendem Vorschlag: Gelder, die für die Entwicklung der Global Scaling Technologien investiert worden sind, nach Rückholung in die gemeinnützige Global Scaling Stiftung einzuzahlen, die bei einer deutschen Bank angelegt und unter Aufsicht der oberbayerischen Stiftungsbehörde verwaltet werden.

Die GS Stiftung unterstützt zentral zahlreiche Projekte, die Global Scaling als Idee in sich tragen. Dabei sind die Themenbereiche so optimal gewählt, dass sie durch die Streuung ein riesiges Markt-Potential haben. Durch die Art der Innovationen, Umweltfreundlichkeit, Gesundheitsförderung etc. sind nach unseren Einschätzungen und nach Einschätzungen führender Branchen-Spezialisten hohe Erträge bei diesen Projekten zu erwarten.

Die von GSDI Cyprus geprellten Anleger sollen also nun weiter in GS investieren?? ’tschuldigung, aber auch wenn eine deutsche Stiftung ein Fortschritt gegenüber obskuren ausländischen Firmen ist, hoffe ich doch, die Anleger werden klüger und werden GS ganz den Rücken kehren – die, vorsichtig ausgedrückt, wissenschaftlich obskuren, unsinnigen Grundlagen bleiben schließlich dieselben, und das mit angeblich hohen Ertragsmöglichkeiten sollte auch irgendwie vertraut vorkommen…

Wie ehrlich ist das GS-Institut hier überhaupt hinsichtlich ihrer GSDI-Cyprus-Nichtbeteiligung? Nun, ich maße mir da kein Urteil an, das wird im Zweifelsfall die Staatsanwaltschaft zu klären haben; aber es gibt da ein Youtube-Video (das ich vorerst nicht verlinke), in dem auch ein „Prof. Müller“ als Fragenbeantworter einer ProtoSafe-Pressekonferenz angekündigt wird – im Juni 2009. Und wenn es sich dabei um den Instituts­geschäftsführer Hartmut Müller handeln sollte…

 

Update 19.2.: Das GS-Institut schrieb vor einigen Tagen (in m.E. ziemlich eingebildeter und fast schon unfreiwillig komischer Weise) über Ergebnisse der Anleger-Versammlung und „Warnung vor falschen Investitionen“2, was Florian Freistetter heute trefflich kommentiert hat.

Update 15.3.: Eine Meldung über den Anlagebetrugsvorwurf beim Finanznachrichtendienst GoMoPa vom 9.3.2010 mit ein paar Details (leider nicht in voller Länge frei verfügbar).
Update 4.5.: Den kompletten Text (4 weitere Absätze) gibt’s jetzt bei bei konsumer.info.

Update 11.2.12: Urteile im Betrugsprozess

  1. www.global-scaling-institute.de/74-0-Aktuelle-Investitionen.html archiviert bei WebCite® am 3.2.2010 []
  2. www.global-scaling-institute.de/75-0-GSDI-Affaere-aktuell.html archiviert bei WebCite® am 19.2.2010 []

Links und Videos der Woche (2010/03)

Links und Video der Woche (2010/02)

Könnte man

ngc1999cut Ein kleines Paradebeispiel für wissenschaftsverhackstückende Realitätsumdeutung in der Esoterik lieferte das hier schon öfter erwähnte Berliner Esoterikmagazin „Sein“ (von dem ich Anfang 2008 ein Exemplar im Zug gefunden hatte) in seinem Dezember-Editorial (Hervorhebung von mir):

unsere Realität, wie wir sie wahrnehmen, besteht nur zu einem geringen Teil – wenn überhaupt – aus Materieteilchen. 99 Prozent sind leerer Raum. Und diesen leeren Raum könnte man Bewusstsein nennen.

Könnte man. Wie man etwa auch einen Kometen eine Blockade nennen könnte, die Milchstraße Gott oder ein Photon schlecht fürs Karma. Oder, um beim Bild des leeren Raumes zu bleiben, die Lücke zwischen zwei Autos auf der Autobahn eine Verschwörungstheorie. Aber nur, wenn man unbedingt esoterisches Geschwafel mit Astronomie oder Physik würzen muss und sich nicht um die Realität schert.

Und wenn man’s mal konsequent deutet, hieße das, dass das Bewusstsein der Esoteriker leer ist…

Ein gigantisch großes Einheitsbewusstsein, von dem wir alle ein Teil sind. Dieses Bewusst- sein hat eine ungeheure Gestaltungskraft – schließlich macht es ja 99 Prozent der Realität aus. Auf dieser Kraft beruhen auch Placebo-Effekte, Geist- und Wunderhei-lungen.

Und schon wurde aus einem „könnte man“ die „Realität“. (Das einzig Reale hier ist aber der Placebo-Effekt.) Tja, der Phantasiereichtum der Esoterik insbesondere bei freien Assoziationen erstaunt immer wieder. Ein anderes aktuelles Beispiel ist, dass es die Liebe sei, die Elektronen an den Atomkern bindet

[…] wir beginnen, bewusst unsere Wirklichkeit zu gestalten. Und sehen dabei vielleicht, wo es noch nicht klappt, und machen uns dann eben auf die Suche nach den inneren Glaubenssätzen und Energieblockaden, die uns bei dem Sprung in eine neue Realität behindern.

Und das wäre ja ganz schlimm, wenn ein Esoteriker nicht in seine eigene neue Realität springen könnte und in der realen Realität feststeckte – Göttinnen bewahret! Also wünscht euch schnell noch mehr Hefte wie dieses mit dem Schwerpunkt Wünschen, bevor ihr an der Quelle, äh, wie Quelle endet, weil zu wenig Wunschbestellungen abgeschickt wurden!

[…] Viel Spaß dabei. Wir freuen uns auf Feedback.

Ich glaube, auf mein Feedback trifft das eher nicht zu…


Foto: Ausschnitt von NGC 1999 – NASA and the Hubble Heritage Team (STScI) (und nicht exakt zum Thema passend, aber schön)

Das wässrige Kleingedruckte

Vor anderthalb Jahren hatte ich schon über das „Wasser­aufbereitungs­system“ Aqua blue berichtet, das ein paar Mal im Jahr mit einem postkartendicken1 A4-Blatt als Zeitungsbeilage wirbt – mit angeblichen Vorzügen wie besserem Geschmack, weniger Kalkablagerungen, „vitalisiert Körper, Geist und Seele“ u.a.m. Ich habe die Anzeigen in der Zwischenzeit nicht genau untersucht, aber bei der heutigen ist mir eine Änderung gegenüber der vom Mai 2008 aufgefallen, die vermutlich neu ist.

So steht nicht mehr auf der einen Seite über einem großen roten Pfeil zur Postkarte der kleingedruckte Satz „Wissenschaftliche Versuche beweisen die Wirksamkeit von Aqua blue®“ – bei dem ob seiner Aussage die kleine Schriftgröße doch etwas verwundert –, sondern auf der anderen Seite2 den noch kleiner gedruckten (aber noch lesbaren) Absatz

Die von uns beschriebene Wirkung des Systems Aqua blue basiert auf der Überzeugung, dass sich Leitungswasser durch das System Aqua blue in seinem biologischen und auch physikalisch chemischen Verhalten verändert bzw. verbessert. Komplementär­wissen­schaftliche Untersuchungen, unsere eigene empirische Forschung sowie die positiven Erfahrungs­berichte unserer Kunden bestätigen dies. Dennoch ist dieses Thema in der wissen­schaftlichen Diskussion. Wir erachten es deshalb als unsere Pflicht, darauf hinzuweisen, dass die klassische Natur­wissenschaft die von uns beschriebenen Wirkungen nach wie vor bestreitet bzw. nicht anerkennt.

Ich finde ja, solche Sätze gehören in großer Fettschrift und mit dickem Rahmen gut sichtbar abgedruckt – ähnlich den Warnhinweisen auf Zigaretten­schachteln. Nun, „Komplementär­wissen­schaft“ ist offenbar dasselbe für die Wissenschaft, was „Komplementär­medizin“ (oder „Alternativ­medizin“) für die Medizin ist: Etwas, das von ihren Befürwortern als Ergänzung oder Alternative zur echten Wissenschaft propagiert wird, das aber an der objektiven Realität scheitert und letzten Endes bestenfalls einen Placeboeffekt bietet. Wie sagt man doch so schön?

Wie nennt man alternative Medizin, die wirkt?
Medizin.

(Als Nebenwirkung des Einfügens dieses „komplementär­wissen­schaftlichen“ Absatzes mussten sie die große Schriftgröße des restlichten Textes etwas reduzieren, was dann eine nicht mehr benötigte manuelle Silbentrennung zum Vorschein brachte, denn das Wort „Wasser-qualität“ ist komplett mit Bindestrich in eine Zeile gerutscht; und aus unerfindlichen Gründen ist links oben ein weißes Rechteck über dem Wasserfall-Hintegrundbild. Da hat wohl der Layouter nicht genug aufgepasst…)

Auf der Website (aqua-blue.de) finde ich diesen Absatz aber (noch?) nicht. Es gibt nur weiterhin die Gutachten-Seite3 mit der Einleitung „Die positiven Folgen wurden durch eine Reihe wissen­schaftlicher Untersuchungen nachgewiesen:“ mit einigen Gutachten, auf die ich letztes Jahr schon eingegangen bin – allerdings sind der lächerlich oberflächliche „Verträglich­keits­test“ sowie der Hinweis zu einer „Veränderung des Abbinde­verhaltens von Zement“ aus der Liste verschwunden. Warum auch immer.

Zumindest gilt dies für die deutsche Version der Seite. Die englische4 enthält diese aber noch, ebenso den Punkt

Change in the taste
of lemon juice, water and other beverages. With Aqua blue®: More aromatic, milder, less sour/bitter/tart.
Tested by:
Hundreds of clients and test subjects in trade shows and trade fairs

Ich glaube kaum, dass diese Tests mit Messebesuchern ordentlich doppeltverblindet waren – eine Verhöhnung der Einleitung „in a series of scientific studies“, möchte ich dann sagen.

Es gibt zudem noch eine Seite mit dem Titel „Hinweis“ und dem Inhalt „Hier folgt demnächst ein besonderer Hinweis“, aber da die URL das Wort „partner“ enthält, nehme ich nicht an, dass dort der „komplementär­wissenschaftliche“ Hinweis landen wird.
(Update 24.1.2010: Ich hab mich in diesem Punkt getäuscht, denn genau der oben zitierte Hinweis-Absatz ist in der Zwischenzeit auf dieser Seite gelandet.)

Übrigens gibt’s auch weiterhin keine Preisangaben auf der Website, sogar die AGB (hier unter Verachtung mehrerer Rechtschreib­regeln „AGB’s“ genannt) kann man nur über ein speziell dafür vorgesehenes Kontaktformular anfordern. (Auf der englischen Seite gibt’s gar nur die Zeile „General Terms and Conditions in PDF Format“, der irgendwie der Link abhanden­gekommen ist…)

Aber wer daran glaubt, dass ein mit einem Klettband an der Wasserleitung zu befestigendes geschlossenes Metallkästchen „ohne Chemie und ohne Einsatz von Strom oder Magneten […] dort permanent die Schwingung von reinem Quellwasser an das in der Leitung befindliche Wasser ab[gibt]“5 – im Widerspruch zu anerkannter und bestätigter Wissenschaft, falls das jemandem noch entgangen sein sollte –, den stört das sicher nicht und für den wird der Preis wohl eh sekundär sein.

Update 20.2.2010: In einer großen Zeitungsanzeige wird jetzt ein Preis genannt: 895 € „für ein Haus mit bis zu vier Wohneinheiten“. Bestimmt keine schlechte Gewinnspanne…


Siehe auch:

  1. sinnvoll, schließlich enthält es eine Postkarte zum Abtrennen… []
  2. Es ist schwer zu entscheiden, was Vorder- und was Rückseite ist – die eine betont „Weniger Kalk“ und enthält das Ankreuzfeld „Ja, ich mächte weitere Informationen…“ auf dem Postkartenabschnitt, die andere betont Geschmack und Gesundheit und enthält die Anschriftenseite. []
  3. www.aqua-blue.de/index.php/de/gutachten archiviert am 12.12.09 unter www.webcitation.org/5lyOj3R5y []
  4. www.aqua-blue.de/index.php/en/expert_opinion archiviert am 12.12.09 unter www.webcitation.org/5lyRHjzre []
  5. www.aqua-blue.de/index.php/de/montage archiviert am 12.12.09 unter www.webcitation.org/5lyQRvbDu []